Rezension: "The Girls" von Emma Cline

Dienstag, August 23, 2016

Kurzmeinung:

Ich war so neugierig auf dieses viel gelobte Buch, aber so richtig mitreißen konnte es mich nicht. Außerdem hatte ich nach dem Lesen des Klappentextes etwas anderes erwartet. In diesem Roman geht es hauptsächlich um die Entwicklung der Protagonisten Evie. Die Sekte spielt dabei zwar ein Rolle, ist aber nicht das eigentlich Zentrale in diesem Buch.

Klappentext:

Kalifornien, 1969. Evie Boyd ist vierzehn und möchte unbedingt gesehen werden – aber weder die frisch geschiedenen Eltern noch ihre einzige Freundin beachten sie. Doch dann, an einem der endlosen Sommertage, begegnet sie ihnen: den „Girls“. Das Haar, lang und unfrisiert. Die ausgefransten Kleider. Ihr lautes, freies Lachen. Unter ihnen ist auch die ältere Suzanne, der Evie verfällt. Mit ihnen zieht sie zu Russell, einem Typ wie Charles Manson, dessen Ranch tief in den Hügeln liegt. Gerüchte von Sex, wilden Partys, Einzelne, die plötzlich ausreißen. Evie gibt sich der Vision grenzenloser Liebe hin und merkt nicht, wie der Moment naht, der ihr Leben mit Gewalt für immer zerstören könnte.


Zum Buch:

Zu Beginn des Buches treffen wir die jetzt 40-jährige Evie. Sie lebt alleine in einem Haus und bekommt unerwarteten Besuch. Die Gäste bringen das Thema schnell auf eine "Sekte", in der Evie Mitglied gewesen sein soll, und auf grausame Morde, die von der Sekte verübt worden sein sollen. 

Ein Zeitsprung führt uns zurück in die 1960er.
Die damals 14-jährige Evie ist nicht glücklich. Sie hat sich als Person noch nicht gefunden, ist ein unsicheres Mädchen. Sie hat nur eine Freundin, Connie, und zahlreiche unerwiderte Schwärmereien.
Evies Eltern sind schon länger nicht mehr glücklich, wollen sich trennen. Sie sind so von ihrem eigenen Leben, ihren Gedanken, ihrem Tun und Lassen in Beschlag genommen, dass sie kaum Zeit für Evie haben. Ihr fehlt die elterliche Zuneigung und Aufmerksamkeit.
Und genau das ist es, was sie zu so einem "willigen Opfer" (S.158) von Russell und "The Girls" macht. Nachdem sie Suzanne und die anderen Mädchen eines Tages getroffen hat, ist sie sofort in ihren Bann gezogen.

Sie muss nicht monatelang Stück für Stück überzeugt und weichgeklopft werden, sondern ist sofort gefangen von der auf den ersten Blick so liebevollen Atmosphäre auf der Ranch, dem Quartier der Sektenmitglieder. Dazu Russells Floskeln über freie Liebe und das sie alle eine große Familie seien - und Evie verfällt dem Zauber in ihrer Naivität und Bedürftigkeit.

Bei den anderen Mädchen ist vor allem der charismatische Russell, der sie in die Gemeinschaft gezogen hat und dort auch hält. Das ist nicht so sehr der Fall bei Evie. Ihr hat es besonders die starke, schöne und etwas geheimnisvolle Suzanne angetan.
So gerät sie schließlich immer stärker hinein in die Sekte und zieht auch schließlich zu den anderen Mitgliedern auf die Ranch etwas außerhalb der Stadt.
Dort hört sie immer mehr von Russells verquerer Philosophie, arbeitet, schläft, isst, trinkt mit den anderen, feiert wilde Feste und nimmt Drogen.
Das alles auf der Ranch total heruntergekommen und schmutzig ist nimmt sie zwar wahr, es kann sie aber nicht wirklich erreichen.
Immer mehr wird sie Teil der Gruppe, immer stärker ihre "Besessenheit" von Suzanne und immer mehr lässt sie sich in eine Welt drängen, die sie eigentlich gar nicht durchschaut. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf...



Meinung: 

Ich weiß bei diesem Buch nicht genau woran es lag. Die Geschichte hat eine spannende Thematik, interessante Charaktere, und trotzdem konnte mich das Buch nicht so richtig packen.
Ich hatte wohl auch etwas anderes erwartet. Etwas ausführlichere Einblicke in die Philosophie der Sekte, in das Leben auf der Ranch, und wie Russell die Mädchen manipuliert und wie er sie mit seinen Worten an sich bindet. Und vielleicht auch ein bisschen mehr Dunkelheit und Drama.
Doch es geht in diesem Buch eigentlich nicht um die Sekte an sich, sondern darum wie Evie, exemplarisch für viele unsichere Teenager- Mädchen, in den Bann der Mädchen gerät und warum sie so schnell ein "williges Opfer" wurde.

Evie wird als Charakter gut etabliert. Man kann ihre Unsicherheit nachempfinden und verstehen, wie sie dadurch empfänglich für Russells Worte und das Leben auf der Ranch wurde und nichts in Frage stellt.
Sie will ihre eigene Unsicherheit vergessen, indem sie sich die Überlegenheit und Überheblichkeit von Russells Philosophie zu eigen macht.

Vorher war Evie ein durchschnittliches Mädchen mit einem ganz normalen Teenager Leben, das in ordentlichen, vorhersehbaren Bahnen verlief. Im Vergleich dazu kam ihr das Leben der Mädchen auf der Ranch aufregend, besonders und geheimnisvoll vor, und auch das hat wohl einen Teil des Reizes ausgemacht.

Besonders interessant ist Evies Beziehung zu Suzanne. Evie schaut bewundernd, fast ehrfurchtsvoll zu Suzanne auf. Ihre Beziehung ist irgendwie schwesterlich, hat aber auch starke homoerotische Spannungen.


Die Person der Suzanne wird die ganze Zeit nicht vollkommen greifbar. Das passt aber irgendwie ganz gut zu ihrem mysteriösen Wesen und macht den Reiz ihrer Figur aus. Man vergisst schnell, das sie selbst damals erst 19 war, da Suzanne aus Evie Sicht eben so fehlerlos und überhöht dargestellt wird.

Auch gut geschildert ist die Entwicklung, wie Evie immer mehr Teil des Sekte wird. Es gibt viele Grenzüberschreitungen, die aber alle nach und nach passieren und sich steigern. So trinkt sie zunächst mit den Mädchen, nimmt Drogen, macht dann erste sexuelle Erfahrungen mit dem Sektenführer Russell. Bis sie schließlich erst ihre Mutter beklaut, dann auch in fremde Häuser einbricht und sich auch auf andere Weise von Suzanne und den anderen ausnutzen lässt. Doch das wird der damals naiven Evie erst später klar.

Die retrospektiven Schilderungen sind sehr reflektiert und ehrlich. So ist der älteren Evie durchaus bewusst, wie naiv sie eigentlich war. Wie selbstgerecht ihre Haltung damals war, und wie sie sich durch das Annahmen von Russells Theorien überlegen vorkam. Das hat mir gut gefallen.


Positiv herausstellen möchte ich außerdem den Schreibstil. Emma Cline hat einen sehr außergewöhnlichen Ausdruck; sie kann komplexe Gedanken in eleganter Schlichtheit darstellen.
Besonders angetan haben es mir Beschreibungen von ganz alltäglichen Situationen, die jeder schon mal erlebt hat. Und sie sind noch nicht einmal besonders beschrieben. Einfach dadurch, dass sie trotz ihrer Banalität in der Geschichte auftauchen, machen sie den Text zu etwas Besonderem.
"Der Tee war zu heiß: eine kurze Pause trat ein, in der wir uns über die Tassen beugten und mein Gesicht in dem dünnen, pflanzlichen Dampf feucht wurde." (S. 140)


Aber es gab eben auch einige Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben.

In diesem Roman gibt es viele Zeitsprünge, die den Lesefluss unterbrechen, weil man sich erstmal wieder in Zeit und Kontext zurechtfinden muss. Außerdem hat sich mir der Sinn dieser Zeitsprünge nicht vollkommen erschlossen. Sie zeigen uns die heute erwachsene Evie, aber wie die anderen Figuren da hineinpassen, erschließt sich mir nicht.

Sehr schade ist auch, das gerade der Anfang etwas holprig ist. Der Leser wird mitten ins Geschehen geworfen, es treten gleich mehrere Charaktere auf, die nicht sehr ausführlich eingeführt werden und dann kommen auch gleich Zeitsprünge. Das war für mich ein bisschen viel am Anfang. Dann allerdings hat Cline gut Spannung erzeugt, in dem sie Andeutungen auf die Sekte macht, welche die Neugier des Lesers wecken.

Der Spannungsbogen ist dann aber leider ziemlich früh wieder abgerissen. Immer wieder wird auf die "schrecklichen Morde" oder die "grausamen Ereignisse" angespielt, was wohl weiter Spannung erzeugen sollte. Ich fand es ehrlich gesagt zunächst verwirrend und später nur noch nervig, da diese Anspielungen leider das einzige Stilmittel zum Spannungsaufbau waren.


Was mir außerdem gefehlt hat, war die Stimmung. Man liest zwar von der Ranch, man hat Evie Schilderungen, aber es bleibt irgendwie distanziert. Ich war nicht wirklich dabei, als die Mädchen betrunken um das Lagerfeuer tanzten, habe nicht wirklich die Fliegen summen gehört, die Trägheit der Sommerhitze und der Drogen gespürt.
Der Funke ist irgendwie nicht übergesprungen, die Geschichte hat mich nicht wirklich in ihren Bann ziehen können.

Nebeninfo:
Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit, und zwar auf den Geschehnissen um den Sektenführer Charles Manson und seiner Manson Family. 


Fazit: 

Hach, das fällt mir bei diesem Buch wirklich schwer. Ich hab es irgendwie nicht so gern gelesen, habe mich mit der Geschichte schwer getan und zwischendurch immer mal ein anderes Buch zu Hand genommen. Gefesselt hat es mich also wirklich nicht.
Aber ich kann nicht so genau sagen, woran es eigentlich lag. Ja, ein paar negative Dinge sind mir schon aufgefallen, als ich jetzt die Rezension geschrieben habe und die Bewertung vornehmen wollte. Auf der anderen Seite hat das Buch aber auch sehr viel Positives.
Deswegen fiel mir die Bewertung auch sehr schwer.
Eigentlich ist es ja ein spannendes Thema und ein interessanter Schreibstil. Aber eben nur eigentlich. Denn gefallen hat mir das Buch irgendwie trotzdem nicht.
Es tut mir leid, wenn das jetzt nicht sehr hilfreich war...

Mein Tipp: Am besten bildet ihr euch selbst eine Meinung, denn über diese Buch wird viel gesprochen, und es wird wohl auch noch eine weile Thema bleiben.

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1 Kommentare

  1. Hallo Julia :)

    Ach wie schade. Das Buch ist mein absolutes Jahreshighlight 2016 xD Ich kann deine Kritikpunkte aber sehr gut verstehen. Mir hat beispielsweise besonders gut gefallen, dass das Buch nicht dunkler und dramatischer wurde. Auch, Evies Charakter, ihre Unsicherheit, ihre Verfallenheit fand ich unglaublich authentisch und spannend. Ich merke schon: Ich muss ganz dringend doch noch eine Rezension schreiben xD

    Liebe Grüße,
    Corina

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